Wie Brettach evangelisch wurde
Erstelldatum27.10.2017
Die Reformation geschah nicht von einem Tag auf den anderen, sondern war ein langwieriger Prozess in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Persönliche, politische und kirchenpolitische Dinge spielten eine Rolle.
Die Reformation geschah nicht von einem Tag auf den anderen, sondern war ein langwieriger Prozess in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Persönliche, politische und kirchenpolitische Dinge spielten eine Rolle.
Aber was heißt "evangelisch"?
Das Herzstück des neuen Glaubens war die Predigt in deutscher Sprache, die einen Abschnitt aus der Bibel ausgelegt wurde. Die Empfehlung war, sonntags nicht eine Stunde und werktags nicht eine halbe Stunde zu überschreiten. Am 16. Mai 1534 wurde in der Stuttgarter Stiftskirche durch den hessischen Hofprediger Konrad Oettinger der erste öffentliche evangelische Gottesdienst gehalten. Anstelle der lateinischen Messe wurde aber nicht die von Luther favorisierte Deutsche Messe, sondern ein schlichter Predigtgottesdienst gehalten, wie sie die "oberdeutschen" Kirchen pflegten. Der Gemeindegesang wurde selbstverständlicher Bestandteil des Gemeinschaftserlebens.
Das Abendmahl wurde nur noch an wenigen Sonntagen im Jahr gefeiert.
Statt der sieben Sakramente, wie sie in der katholischen Kirche üblich waren, gab es nur noch das Abendmahl und die Taufe, weil nur sie von "Jesus geboten waren". Das Abendmahl wurde in "beiderlei Gestalt" als Brot und Wein an alle Gläubigen verteilt.
Die Priester konnten heiraten. Das evangelische Pfarrhaus wurde begründet.
Die Klöster und das Zölibat wurden abgeschafft. Die neue Pfarrergeneration bekam eine solide, theologische Ausbildung.
Um die Reformation vor Ort durchzusetzen, wurden die Priester befragt, ob sie bereit und fähig sind, die neue Ordnung umzusetzen. Ansonsten mussten sie auswandern oder wurden mit einer Pension abgefunden.
Viele mischen mit
Der zuständige Bischof für Brettach wohnte in Würzburg (Bistum Würzburg). Er war für die geistliche Ausrichtung zuständig. Die nächste untere kirchliche Verwaltungsebene waren die Archidiakonate. In Weinsberg war eines dieser Archidiakonate, die für die Verwaltung der umliegenden Gemeinden zuständig war. Die Pfarrei Brettach gehörte bis 1450 auch dazu.
Pfarreien waren wirtschaftliche Einheiten mit Immobilien (Kirche, Pfarrhaus, sonstige Schenkungen), landwirtschaftliche Gütern und Wäldern sowie Einkünfte durch den Kleinen Zehnten und die Armenstiftung. Dieses Eigentum sollte helfen, die Pfarrstelle und Kirche zu unterhalten.
In der Regel waren die zuständigen Landesherren (z.B. die Herren von Weinsberg) auch für die Wirtschaftsbelange der Kirchengemeinden zuständig. Sie hatten das sogenannte Patronatsrecht inne. Der Patron musste für die Kirchengemeinde sorgen, hatte ein Vorschlagsrecht für die Stellenbesetzung und konnte aber auch die Überschüsse einkassieren.
Der Ort Brettach selber gehörte bis 1450 auch den Herren von Weinsberg.
Die Herren von Weinsberg waren 1450 pleite und mussten ihren Besitz verkaufen, um ihre Schulden zu begleichen. Sie verkauften ihren Besitz und damit auch unseren Ort Brettach an den Pfalzgrafen Friedrich.Der Ort Brettach wurde also pfälzisch.
Kirchlich gesehen lag das Patronatsrecht aber bei dem Kaplan von Scheuerberg. Er hatte das Patronatsrecht als Lehen von den Herren von Weinsberg bekommen.
1483/4 gab es einen Gebietstausch. Der Pfalzgraf tauschte mit dem Deutschen Orden Gebiete aus. So bekam der Deutsche Orden Neckarsulm und Scheuerberg. Ab 1484 erhielt der Deutsche Orden somit auch das Patronatsrecht für die Pfarrei Brettach, das verwaltungsmäßig vom Amt Neckarsulm wahrgenommen wurde. Der Deutsche Orden war ein großes Unternehmen, das sich über das ganze Gebiet des heutigen Deutschlands ausbreitete. An der Spitze stand der Deutschmeister (oder Hochmeister). Er residierte u.a. auf der Burg Hornberg. Die nächste Verwaltungsebene waren die Balleien (Franken), dann die Komturen (Heilbronn), dann die Ämter (Neckarsulm). 1504 eroberte der württembergische Herzog Ulrich unsere Gegend mit Neuenstadt und Weinsberg. Kirchlich gesehen blieb aber der Deutsche Orden weiterhin der zuständige Patronatsherr für Brettach.
Im Jahr 1520 verlor Herzog Ulrich von Württemberg sein Herzogtum. Er musste ins Ausland fliehen. Die neuen Herren waren nun die habsburgischen Österreicher. Brettach gehörte für die nächsten 14 Jahre zu Vorderösterreich, wobei das Patronatsrecht beim Deutschen Orden verblieb.
In den deutschen Ländern rumorte es durch die Wittenberger Reformation heftig. Einige Studenten aus der Umgebung wie Heilbronn oder Ilsfeld waren von den Neuerungen erfasst. Auch von dem späteren Brettacher Pfarrer Hippolyt Binder weiß man, dass er schon 1522 (also ein Jahr, nachdem Luther sich vor dem Reichstag in Worms rechtfertigen musste) bei Luther studierte!
Aber die katholische Herrschaft der Habsburger erließ eine strenge Verordnung, dass die Kirche und das Land katholisch bleiben müssen.
Ab wann ist man evangelisch?
Bald zeigte es sich, dass man überzeugende Ideen und Bewegungen nicht per Erlass aufhalten kann. Vor allem in den Städten fassten die reformatorischen Ideen Fuß. In Weinsberg predigte Schnepf schon 1520 "evangelisch". In der von Vorderösterreich unabhängigen Reichsstadt Heilbronn predigte Lachenmann evangelisch. Viele Jahre konnten die Heilbronner sich aussuchen, ob sie die katholische Messe oder einen evangelischen Gottesdienst besuchen wollten. 1530 beschlossen der Rat und die Bürgerschaft Heilbronn, der Augsburgischen Konfession beizutreten, so dass nun die Stadt offiziell evangelisch war.
Die Komturei des Deutschen Ordens in Heilbronn mit den Amtssitz Neckarsulm, die für Brettach zuständig war, blieb aber weiterhin katholisch.
In den Jahren 1521-1532 leitete der Deutschordensritter Eberhard von Ehingen der zuständige Komtur in Heilbronn. Er gehörte zum schwäbischen Uradel (Ehingen bei Rottenburg).
In Brettach war der katholische Priester Hans Freund aus Dörrenzimmern tätig. Er beendete seine Zeit 1532. Der Patronatsherr in Gestalt des Deutschen Ordens, Amt Neckarsulm, suchte einen neuen Priester und fand ihn in Hippolyt Binder. Er kam 1532 nach Brettach. Im "Pfarrerbuch Herzogtum Württemberg" findet sich folgender Eintrag: Hippolyt Binder stammte aus Brackenheim. 1522 war er als Student in Wittenberg und kannte damit Luther persönlich. Sieben Jahre später, 1529, war er in Heidelberg. Heidelberg war zu jener Zeit noch nicht evangelisch. In Heidelberg wurde die erste evangelische Predigt erst 1546 gehalten!
1532 war Brettach noch katholisch. Es ist also davon auszugehen, dass Hippolyt Binder sich (vielleicht in Heidelberg) zum katholischen Priester weihen ließ und als solcher auch nach Brettach kam. Die Reformation und auch Martin Luther hatten ihn - wie viele andere auch - nicht beeindruckt! Im Gegenteil. Sonst hätte er sich als evangelischer Pfarrer in einer der schon evangelischen Städte beworben und nicht im katholischen Bereich des Deutschen Ordens. Auch konnte er keinen Empfehlungsbrief der Wittenberger vorweisen.
Als Herzog Ulrich 1534 Württemberg zurückeroberte, wurde Brettach zwar württembergisch, aber die Kirchengemeinde blieb in katholischer Obhut, weil der Deutsche Orden als Patronatsherr zuständig war.
Kirchenverbesserung
Statt von Reformation sprach man in jenen Jahrzehnten bei den Evangelischen lieber von "Kirchenverbesserung". Reformation klang in den damaligen Ohren nach Revolution, nach einem Umsturz der Verhältnisse. Das war nicht die Absicht. Und doch war 1534 ein Wendejahr für Württemberg.
Herzog Ulrich führte ab diesem Jahr schrittweise eine "Reformation von oben", d.h. durch die Herrschaft initiiert, durch. Diese Reformierung geschah in mehreren Schritten:
1. Die Pfarrer wurden in die zuständige Amtsstadt befohlen und mussten eine Art Examen ablegen. Das Verhör wurde durch einen Theologen und herzoglichen Beamten durchgeführt. Das Ergebnis in Württemberg war ernüchternd. Von den 1200 katholischen Priestern gaben sich nur rund ein Drittel als Anhänger der Lehre der Reformation zu erkennen! Diejenigen, die sie ablehnten, durften gehen.
2. Die kirchlichen Güter wurden aufgelistet. Was für die Zukunft nicht mehr gebraucht wurde, kam der neuen Ordnung zugute (z.B. Schulen).
3. Mit kontinuierlichen Visitationen wurden die Pfarrer und Gemeinden überprüft.
1535 wurde in Württemberg die Messe abgeschafft, ebenso viele Feiertage und Wallfahrten. Da für Brettach ein katholischer Patronatsherr zuständig war, gab es noch keine Examinierungen und Visitationen. Auch die Messe wurde weiterhin in lateinischer Sprache gelesen.
1536 wurde eine neue Kirchenordnung durch die württembergische Regierung eingeführt, in der z.B. der Besuch des Gottesdienstes vorgeschrieben wurde.
Landesweit wurden Latein- und Volksschulen eingeführt, weil mangelnde Bildung als eine Ursache gesehen wurde, dass die alte Kirche sich so negativ entwickeln konnte.
Mit dem Weggang von Hippolyt Binder im Jahr 1542 ergab sich eine neue Situation für Brettach. In den umliegenden Gemeinden hatte sich die "Kirchenverbesserung" gefestigt und herumgesprochen. Aus den Gemeinden heraus gab es sicherlich einen gewissen Druck.
Auch der Deutsche Orden stand unter Druck. Er konnte seine Ansprüche nicht mehr befriedigend durchsetzen.
Ich denke, dass mit Unterstützung der Dekanatsstadt Weinsberg die neuen Möglichkeiten einfach aufgegriffen wurden und letztlich der katholische Patronatsherr vor vollendete Tatsachen gestellt wurde. Pfarrer Klein bezeichnete deshalb den neuen Pfarrer von Brettach Thomas Bauer, der 1542 in Brettach Pfarrer wurde, zurecht als ersten evangelischen Pfarrer in unserem Ort. Thomas Bauer blieb nur drei Jahre. Erst der nächste Pfarrer Joachim Stahl (1545-1556) erlebte den formalen Abschluss der Reformation.
Im Heidelberger Vertrag vom 25.3.1553 ging das Patronatsrecht vom Deutschen Orden auf die württembergische Regierung über. Der Prozess der Kirchenverbesserung dauerte in unserem Gebiet also 19 Jahre.
Noch 1583 wird von der Verpflichtung des Deutschen Ordens (Neckarsulm) berichtet, zum Unterhalt des Pfarrhauses einen jährlichen Beitrag von 20 Gulden zu leisten. Offensichtlich blieb das Pfarrhaus als Immobilie weiterhin im Besitz des Deutschen Ordens.
Noch eine württembergische Besonderheit:
Der Herzog (später der jeweilige König von Württemberg) war gleichzeitig Oberhaupt der Landeskirche als so genannter summus episcopus, d.h. der jeweilige Herrscher vereinigte die weltliche und die kirchliche Macht.
Pfarrer i.R. Günther Kempka, Brettach